Pressemitteilung

Datenwissenschaftler der WHZ analysieren ÖPNV-Netz der Region

Ausschlafen und trotzdem pünktlich 7:30 Uhr zur Vorlesung in Zwickau? Datenwissenschaftler der Westsächsischen Hochschule Zwickau (WHZ) zeigen, wo Studierende wohnen sollten und wo nicht.

Eine Karte der Region Chemnitz-Zwickau, ind er bestimmte Regionen farbig markiert sind.
Ergebnis der Analyse ist eine interaktive Karte, die zeigt, wo Studierende wohnen müssen, um zu einer bestimmten Uhrzeit an der WHZ zu sein.

Wohnt man in Chemnitz oder Plauen, ist der Weg nach Zwickau nicht der Rede wert. Morgens in die Bahn, unterwegs ein bisschen lesen und schon ist man in Zwickau. Vom Bahnhof zur Hochschule geht es zu Fuß oder mit dem Bus. Zwickau scheint gut in das ÖPNV-Netz eingebunden. So gehört sich das für einen Hochschulstandort. Umso verwunderter war Prof. Flemming vom Fachbereich Mathematik und Data Science zum Start des neuen Semesters:"Einer meiner Studierenden im ersten Semester unseres Data-Science-Studiengangs meinte, er schaffe es morgens nicht pünktlich zur Vorlesung. Es gäbe keine ÖPNV-Verbindung. Mit dem ersten Bus, der gegen 4:30 Uhr vor seiner Haustür abfährt, wäre er erst gegen 7:50 Uhr an der Hochschule."

Ein Dünnbrettbohrer, der gern ausschlafen möchte? Keineswegs! Die gemeinsame Suche nach einer Verbindung bestätigte das Problem: Nur 20 Kilometer Luftlinie, aber keine Möglichkeit, pünktlich zur Vorlesung zu kommen. Löcher im ÖPNV-Netz ländlicher Gegenden sind bekannt und in gewissem Maße nachvollziehbar. Manchmal treten sie allerdings an eher unerwarteten Stellen der Landkarte auf: Der verspätete Data-Science-Student wohnt am Stadtrand von Stollberg mitten im Ballungsraum Chemnitz-Zwickau. Das Thema wollte vertieft sein: Wo müssen Studierende wohnen, damit sie pünktlich 7:30 Uhr zur Vorlesung in Zwickau erscheinen können?

Weiße Flecke

Etwa 6000 Bus- und Bahnhaltestellen gibt es im Zwickauer Umland. Berücksichtigt man kurze Fußwegstrecken und Umsteigemöglichkeiten, so ergeben sich fast 240 000 verschiedene Verbindungen nach Zwickau allein im Zeitfenster von 5:00 Uhr bis 7:25 Uhr. Prof. Flemming: "Das Extrahieren von verwertbaren Informationen aus solchen Datenmassen ist Kernaufgabe des Data Science (deutsch: Datenwissenschaften)." Ergebnis der Verbindungsanalyse ist eine interaktive Karte, die für jeden Bus- und Bahnhalt zeigt, wann Studierende dort Einsteigen müssen, damit sie pünktlich an der Hochschule ankommen. Prof. Flemming: "Erwartet habe ich ein etwa kreisförmiges Gebiet um Zwickau mit guter Anbindung. Dieses sieht man in den Ergebnissen tatsächlich. Allerdings wird auch klar, dass die Bahnstrecken das Rückgrat des ÖPNV um Zwickau bilden. Wer abseits der Bahnstrecken wohnt, ist auf den morgentlichen Bus zum nächsten Bahnhof angewiesen. In etlichen Dörfern gibt es diesen leider nicht oder erst zu späterer Stunde. Die Karte hat weiße Flecke."

Flemming möchte die Ergebnisse der Analyse nicht als Kritik am ÖPNV-Netz verstanden wissen: "Natürlich freue ich mich als intensiver ÖPNV-Nutzer über jede zusätzliche Linie und jede Taktverdichtung. Andererseits sind die Zwänge und Randbedingungen bei der Netzplanung unglaublich komplex. Neben grundsätzlichen Finanzierungsfragen spielen Personalverfügbarkeit, Fahrzeugpark sowie Haltstellenbau und -unterhaltung in die Netzplanung rein. Und dann muss auch noch jemand einen funktionierenden Fahrplan samt Personalplanung und Fahrzeugumläufen bauen, natürlich mit passenden Umsteigemöglichkeiten in überregionale Netze. Es grenzt schon an ein Wunder, dass man in diesem komplexen Geflecht überhaupt ein stabiles und gut nutzbares ÖPNV-Netz betreiben kann."

Praxisnah studieren

Für die Studierenden bietet das Projekt wertvolle Praxiserfahrung. "Schon nach wenigen Wochen beginnen wir im ersten Semester des Data-Science-Studiengangs mit regelmäßigen Praxisprojekten. Die Themenvielfalt im Data Science kann nicht durch klassische Vorlesungen abgedeckt werden. Bearbeitet man konkrete Projekte wird klar, dass ein Data Scientist auf vielen Hochzeiten tanzt: Technisches Hintergrundwissen zum effizienten Arbeiten mit großen Datenmengen ist genauso wichtig wie umfangreiche Methodenkenntnis zur Datenauswertung und das Beherrschen aktueller Web-Technologien zum Visualisieren und Publizieren", so Flemming.

Offene Daten und offene Software

Dass ein solches Projekt heute überhaupt möglich ist, führt Prof. Flemming auf zwei Entwicklungen zurück: EU und Bundesrepublik setzen immer stärker auf Open Data, also das öffentliche und kostenlose Bereitstellen von Daten aller Art. Fahrplandaten für ganz Deutschland bekommt man im Internet direkt von den Verkehrsbetrieben oder von spezialisierten Plattformen. Mag die Digitalisierung in Deutschland hier und da schleppend verlaufen (Stichwort: Gesundheitswesen), so ist Deutschland beim Thema Open Data ganz vorn dabei. Schaut man beispielsweise zum Nachbar Tschechien, so findet man dort keine frei verfügbaren Fahrplandaten für das ganze Land. "Deshalb konnten wir die ÖPNV-Verbindungen im Grenzgebiet leider nicht vollständig erfassen.", so Flemming.

Die zweite Entwicklung, die Flemming als wesentlich für Projekte wie die ÖPNV-Analyse sieht, ist der Trend zu Open-Source-Software. Das ist Software, für die der Bauplan mitgeliefert wird. Sie kann von versierten Nutzern selbst angepasst und weiterentwickelt werden. Flemming: "Im Data Science arbeitet man immer an der Grenze des technisch Machbaren. Da kann man nicht ständig neue Software kaufen. Erst recht können wir nicht warten bis es überhaupt geeignete Software für neue Themen und Techniken gibt. Selbst entwickeln oder anpassen ist an der Tagesordnung." Auch für das ÖPNV-Projekt wurde ausschließlich Open-Source-Software verwendet, natürlich mit ein paar individuellen Anpassungen.

Mit Open Data und Open-Source-Software können interessierte Laien heute Projekte wie die ÖPNV-Analyse selbst angehen. "Das ist prinzipiell möglich und wird erfreulich intensiv getan, scheitert aber bei größeren Projekten an der verfügbaren Rechenleistung", so Flemming. "Unsere Analysen haben wir auf Hochleistungsrechnern der Hochschule durchgeführt. Auf einem handelsüblichen Laptop dauert das viel zu lang oder scheitert an zu geringer Speicherkapazität."

Noch mehr Daten

Eine zweite Analyse ist gleich noch mit entstanden: Wo müssen Studierende am Wochende wohnen, damit sie montags pünktlich in Zwickau sind? An Montagen starten die meisten Veranstaltungen erst 9:20 Uhr, sodass die Anreisemöglichkeiten vielfältiger werden. Untersucht wurden etwa 110 000 Bus- und Bahnhalte einschließlich Fernverkehr und die zugehörigen 26 Millionen Verbindungen nach Zwickau zwischen 5:00 Uhr und 9:15 Uhr. Die Ergebnisse zeigen, dass das Einzugsbiet der Hochschule in den vier Himmelsrichtungen bis Berlin, Dresden, Nürnberg und Erfurt reicht.

Links:

Interaktive Karte mit Abfahrtszeiten für eine Ankunft vor 7:30 Uhr
Interaktive Karte mit Abfahrtszeiten für eine Ankunft vor 9:20 Uhr
Making-of zum Projekt im Data-Science-Blog

Kontakt und weitere Informationen:

 

Prof. Dr. rer. nat. habil. Jens Flemming
Professur für Mathematik
Büro PKB 365 (Kornmarkt 1, Paul-Kirchhoff-Bau)
+49 375 536 1380
jens.flemming[at]fh-zwickau.de
Website von Jens Flemming

 

 

 

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