Ableitungen aus den Evaluationsergebnissen

8. Wie gut wird das eigenverantwortliche Selbststudium unterstützt und begleitet?

a) Verflechtung von Selbst- und Kontaktstudium
Selbst- und Kontaktstudium können sich gut ergänzen. Dafür müssen die Stärken der beiden Formen beachtet und Verflechtungen hergestellt werden. Und es braucht Lehrende mit einem besonderen Interesse am eigenverantwortlichen Lernen der Studierenden.

Dem Selbststudium fällt zumeist die Funktion eines Hilfsinstrumentes für die Präsenzveranstaltung zu. In dieser eindimensionalen Einordnung des Selbststudiums liegen gewisse Gefahren. Das Selbststudium könnte von der ursprünglich angedachten „Eigenverantwortlichkeit“ der Studierenden für das Lernen auf eine „Eigentätigkeit“ reduziert werden und die Funktion als „Ort des selbstgesteuerten Lernens“ verlieren. Des Weiteren könnten Lehrende, die in der „Vollständigkeitsfalle“ gefangen sind, das Selbststudium nutzen, um die Studierenden über das Kontaktstudium hinaus mit zusätzlichen Inhalten einzudecken, anstelle eine zielführende Reduktion der Inhalte im Kurs insgesamt vorzunehmen (Landwehr & Müller, 2008).

Wie kann ein sinnvolles Wechselspiel zwischen dem Kontakt- und Selbststudium hergestellt werden? Wie wird eine größtmögliche Wirkung und Nachhaltigkeit entwickelt? Hierfür bietet sich zunächst eine differenzierte Betrachtung der

  • der Lehr-Lern-Ziele (didaktische Integration) und
  • zeitlichen Planung (lernorganisatorische Integration) an.

mögliche Ansätze zur Verflechtung von Selbst- und Kontaktstudium

Welche Ziele, Inhalte und Kompetenzen lassen sich im Rahmen des Selbststudiums am besten vermitteln und für welche Lehr-Lern-Prozesse ist das Kontaktstudium besser geeignet?

Häufig erfolgt eine rein pragmatische Zuordnung bestimmter Lernziele und Lerninhalte aufgrund des Vorhandenseins geeigneter Lehr- und Lernmaterialien. Der Erfolg im Sinne eines nachhaltigen Lernens der Studierenden bleibt damit dem Zufall überlassen. Eine Beachtung der Stärken und Schwächen, Möglichkeiten und Grenzen, Chancen und Gefahren vom Kontakt- und Selbststudium ist von Nöten, um didaktisch sinnvolle Entscheidungen zu treffen.

Dass die Präsenz der Lehrenden im Kontaktstudium lernförderliche Funktionen erfüllen kann (motivational, akzentsetzend, prozesssteuernd, dialogfördernd), ist allgemein bekannt. Welche Lernchancen aus der (weitgehenden) Abwesenheit von Lehrenden in den Phasen des Selbststudium entstehen können, soll folgend genauer beleuchtet werden.

Lernchancen der eigenverantwortlichen Prozessgestaltung im Selbststudium
Aufbau von Schlüsselqualifikationen (Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenz) Im Selbststudium übernehmen die Studierenden in einem hohen Maße Verantwortung für die Gestaltung des Lernprozesses. Damit wird das Selbststudium der zentrale Ort zur Entwicklung von Prozessgestaltungskompetenz. Es müssen geeignete Lernmethoden eingesetzt, Möglichkeiten der Motivierung gefunden und eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Kommilitonen gelernt werden. Zu beachten ist, dass die Förderung dieser Kompetenzen auch im Rahmen des Selbststudiums den gezielten Einsatz von Handlungsimpulsen und Reflexionshilfen erfordert.
Vermittlung von Inhalten mit hohen individuellen Verarbeitungsanteilen In der Präsenzveranstaltung wird das Lehrtempo zumeist an einem fiktiven Durchschnittsstudenten orientiert. Diese Festlegung wird im Selbststudium obsolet. Die individuelle Lerngeschwindigkeit wird besonders auffällig, wenn Informationen nicht nur aufgenommen werden. In der selbstständigen Erarbeitung von Informationen (Elaboration) und dem Einüben von Fähigkeiten unterscheiden sich die Studierenden besonders stark in dem benötigten Zeitumfang. Das Selbststudium bietet hier deutlich bessere Möglichkeiten als die Präsenzveranstaltung.
Vermittlung von Inhalten, die eine „kollegiale Auseinandersetzung“ verlangen Ein ausgedehnter Gedanken- und Erfahrungsaustausch in kleinen Gruppen ist vor allem im Selbststudium möglich. Diese „kollegiale Auseinandersetzung“ wird besonders für die Übertragung von theoretischen Grundlagen auf praktische Handlungsfelder benötigt.
Vermittlung von Inhalten mit individueller Schwerpunktsetzung Präsenzveranstaltungen üben einen gewissen Homogenisierungsdruck auf die Lerngruppen aus. Im Rahmen des Selbststudiums können hingegen individuelle Schwerpunkte gewählt werden. Diese werden am eigenen Lernbedarf oder an eigenen Interessen ausgerichtet. Dies dürfte überall dort sinnvoll sein, wo eine exemplarisch vertiefte Auseinandersetzung mit dem Lerninhalt verlangt oder wo individuelle Kompetenzziele erreicht werden sollen.

(Landwehr & Müller, 2008)

Das Wechselspiel zwischen Kontakt- und Selbststudium schlägt sich in verschiedenen Modellen der zeitlichen Planung nieder. Die nun im Folgenden vorgestellten Modelle stellen etablierte Vorgehensweisen dar, müssen jedoch auf Passung zu Kursinhalt und studentischen Rahmenbedingungen geprüft werden.

Das Hausaufgabenmodell

Im Rahmen des Hausaufgabenmodells erfolgt in jeder Kontaktveranstaltung die Auftragsverteilung für das nachfolgende Selbststudium. In der nächsten Kontaktveranstaltung werden die Arbeitsergebnisse aus dem Selbststudium eingefordert bzw. besprochen.



Nachteilig an dem Hausaufgabenmodell ist, dass durch den festen Rahmen selbstgesteuertes Lernen kaum gefördert wird und die Studierenden das Selbststudium als Gängelung oder Verschulung empfinden könnten. Das Hausaufgabenmodell könnte sich allerdings aus diesen Gründen für Seminargruppen eignen, die noch keine Erfahrung mit dem Selbststudium sammelten (beispielsweise im Erstsemester oder an Fakultäten, an denen bisher selbstgesteuertes Lernen kaum gefordert wurde) (Landwehr & Müller, 2008).

Das Modell der unabhängigen Parallelarbeit

Im Rahmen des Modells der unabhängigen Parallelarbeit wird zu Beginn des Semesters ein größerer Auftrag erteilt, welcher sich auf die gesamte Kursdauer bezieht und dessen Ergebnisse erst am Ende des Kurses eingefordert und besprochen werden. Bei diesem Modell wird die Verantwortung für das Lernen an die Studierenden übergeben. Es liegt in ihrem Ermessen, wann und wie umfänglich sie den Auftrag bearbeiten (Landwehr & Müller, 2008).



Dan Ariely (2008) beschriebt am Beispiel von drei Semesterarbeiten den Einfluss von vorgegebenen und frei wählbaren Abgabeterminen auf die Benotung der Arbeiten. Dabei sollte eine Gruppe von Studierenden jeweils eine Semesterarbeit in der vierten, achten und zwölften Woche des Semesters abgeben. Eine zweite Gruppe durfte den Abgabezeitpunkt für die drei Arbeiten im Laufe des Semesters frei wählen. Das Ergebnis fällt nicht sonderlich überraschend aus. Die Noten in der ersten Gruppe mit fest vorgegebenen Abgabeterminen fielen deutlich besser aus.

Studierende neigen zum Aufschieben unangenehmer Tätigkeiten (Prokrastination). Können Studierende völlig frei über die Gestaltung des Selbststudiums entscheiden und haben keine Instrumente der Selbstverpflichtung entwickelt, werden Semesterarbeiten häufig „auf den letzten Drücker“ und in tendenziell schlechterer Qualität erstellt.

An dem Beispiel lässt sich gut erkennen, dass die Förderung fachlicher Kompetenzen durchaus mit der Förderung überfachlicher Kompetenzen (z. B. selbstgesteuertes Lernen) konkurrieren kann. Entscheidend ist, auf welche Anforderungen einer späteren Arbeitswelt die Studierenden vorbereitet werden sollen und welches Lernziel Lehrende daraus für die Lehrveranstaltung ableiten.

Das Mischmodell

Das Hausaufgabenmodell und das Modell der unabhängigen Parallelarbeit lassen sich miteinander kombinieren. Durch den Einbau von „Weichen“ oder „Kreuzungen“ kommt es zu einer Parallelarbeit mit Zwischenbesprechungen



oder einer Parallelarbeit mit mehrfacher Auftragserteilung (Landwehr & Müller, 2008).



Das Modell der unregelmäßigen Rhythmisierung

Neben den oben genannten Modellen ist auch asynchrone Verteilung von Kontakt- und Selbststudium im Laufe des Kurses denkbar (Landwehr & Müller, 2008).



Ebenso wäre ein phasenweises „Outsourcing“ von Inhalten der Lehrveranstaltung in das Selbststudium möglich. Studierende könnten in der ersten Phase des Kurses mit Inhalten „angefüttert“ werden, um sich anschließend selbstständig weitere Inhalte zu erarbeiten. Die Präsenzphasen würden dann Funktionen des Coachings und Controllings beinhalten. Die Methode des „Umgedrehten Unterrichts“ oder „flipped classroom“ greift diese Logik auf (Vorlesung verkehrt, aber richtig).

Der folgende Fragebogen bildet einen von sieben Grundsätzen „guter Praxis in der Hochschullehre“ (Winteler, 2004) ab. Dem Ziel, die Lehre zu verbessern, kommt der Fragebogen dann am nächsten, wenn die Antworten ein ehrliches Bild des individuellen Lehrverhaltens wiedergeben und daraus Hinweise für die Verbesserung der individuellen Lehre abgeleitet werden.

 sehr oftoftmanch- malseltennie
1. Ich erwarte von meinen Studierenden, dass sie ihre Aufgaben pünktlich erledigen.      
2. Ich sage meinen Studierenden deutlich, wie viel Zeit sie mindestens für die Vorbereitung der Veranstaltungen benötigen.      
3. Ich mache meinen Studierenden klar, welche Zeit sie investieren müssen, um komplizierte Sachverhalte zu verstehen.      
4. Ich helfe den Studierenden dabei, sich anspruchsvolle Ziele für ihr eigenes Lernen zu setzen.      
5. Wenn Studierende Präsentationen halten sollen, dann rate ich ihnen, diese zuvor einzuüben.      
6. Ich unterstreiche die Wichtigkeit eines optimalen Zeitmanagements für ein erfolgreiches Studium.      
7. Ich weise meine Studierenden auf die Konsequenzen hin, wenn sie nicht an der Veranstaltung teilnehmen.      
8. Ich mache den Studierenden klar, dass das Studium sie mindestens vierzig Stunden/Woche in Anspruch nimmt.      
9. Ich treffe mich mit Studierenden, die Lernrückstände haben, um mit ihnen zu besprechen, wie sie diese aufholen können.      
10. Wenn Studierende in der Veranstaltung fehlen, dann gebe ich ihnen Gelegenheit, den Stoff nachzuholen.      

(Winteler, 2004)

Der Fragebogen soll Ihnen Hinweise geben, an welchen Stellen es sich lohnt, die eigene Lehre zu entwickeln. Besonders die Punkte, die Sie mit „nie“ oder „selten“ bewerten, könnten hierfür Ansatzpunkte darstellen.

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