Sektion 4: Literarische Grenzüberschreitung: Die portugiesische Sprache in Bewegung

Sektionsleitung

Sektionsbeschreibung

Die portugiesischsprachige Literatur charakterisiert sich in ihrer Entwicklung durch eine gewisse Beweglichkeit und Verschwommenheit der Grenzen: Wanderungen, Pilger- und Meeresfahrten, Reisen durch die Lande und durch „Sertões“, Migration und weitere Formen des Umherziehens sind in allen Epochen und Gattungen regelmäßig anzutreffen. Im Rahmen einer zunehmend globalisierten Welt erweist sich die portugiesische Sprache, sowie ihre Literaturen, als eine Sprache in Bewegung – eine Bewegung, die sich aus vielen Perspektiven, also nicht nur in Hinsicht auf topographische Darstellungen betrachten und interpretieren lässt.

Unter diesen Prämissen wird das vielfältige Phänomen der Grenzüberschreitung untersucht, welches für ein prägendes Merkmal portugiesischsprachiger Literatur gehalten wird. Dabei liegt der Fokus darauf, über die dieser Literatur innewohnende Tendenz zum Beweglich-Sein und zur globalen Dimension zu diskutieren. Sich auf den Begriff „Déterritorialisation“ (Deleuze-Guattari 1972-1980) als Ort der Ausarbeitung und Umformulierung des Sinnes der literarischen Werke und der literarischen Ausdrucksforme stützend, werden die vielen Bedeutungen der Grenzüberschreitung berücksichtigt. Besonderes Augenmerk wird auf das Thema der Migrationen und der Vertreibungen gelegt, welche sich sowohl im portugiesischsprachigen Raum, als auch zwischen portugiesischsprachigen und nicht portugiesischsprachigen Ländern in der Vergangenheit sowie auch gegenwärtig ereignen. Solche gesellschaftlichen Mobilitätsphänomene sind es, die dazu führen, dass man in diesen Ländern zur Entstehung neuer „production of locality“ (Appadurai 1996) auf eine zunehmende Weise tendiert.

Neben der Bestimmung von transgeografischen Räumen und Mobilitäten eröffnet heute die Grenzüberschreitung auch die Perspektive auf die Zirkulation von Ideen, von verschiedenen Kunstformen und soziokulturellen Einflüssen. Texte zirkulieren innerhalb unterschiedlicher Zeiten und Kulturen, sie werden angepasst, verändert und neu interpretiert. Unterschiedliche Lesarten eines literarischen Werkes stehen in einem andauernden Austausch, was dazu führt, dass Ideen und kulturelle Modelle dynamischer werden. Die Konferenz zum 100. Geburtstag des „modernismo paulista“ dient dafür als Beispiel.

Die Literatur, das Kino, die Musik, die bildende, figurative und darstellende Kunst reagieren auf diese Anregungen unterschiedlich, z.B. derart, dass sie semiotische Grenzen abbauen und neue hybride Ausdrucks- und Erfahrungsorte schaffen. Die „Interart Studies“ bieten innerhalb dieser Debatte einen ergänzenden, innovativen und fruchtbaren Ansatz zur Reflektion über diejenigen Beziehungen, die zwischen verschiedenen Ausdrucksformen und in unterschiedlichen kulturellen Kontexten entstehen und somit von der Grenzüberschreitung bestimmt sind – diese Grenzüberschreitung lehnt sich aktiv gegen die Grenzen des „medium“ (Ryan 2021), der Gattungen, der Sprache usw. auf und schlägt neue kommunikative Brücken.   

Unabhängig davon, wie man das Phänomen der Grenzüberschreitung auch verstehen will, hat dieses immer mit dem Kontakt mit dem Anderen zu tun. Dieser Kontakt kann auf verschiedene Weise eine traumatische Auseinandersetzung sein und erscheint als Erfahrung der Grenzüberwindung. Es wird also von großer Relevanz, über das Ich aus einer neuen Perspektive zu reflektieren, insbesondere in einer Zeit, in welcher die Abschottung des Ich deutlich vorhanden ist (Han 2018).

Es sind Beiträge willkommen, die folgende Themen portugiesischsprachiger Literatur behandeln: Migration, Exil, Vertreibung, Reise und kulturellen Austausch. Dazu auch Beiträge, in welchen die Beziehung zwischen den Kulturen, Gattungen, Medien usw. in portugiesischer Sprache untersucht wird.

Appadurai, Arjun (1996) : Modernity at large: Cultural dimensions of globalisation. Minneapolis: Minnesota UP.
Deleuze, Gilles/ Guattari, Félix 1972) : L'Anti-Œdipe. Paris: Éditions de Minuit.
Deleuze, Gilles/ Guattari, Félix (1980) : Mille plateaux. Paris: Éditions de Minuit.
Han, Byung-Chul (2018) : A expulsão do outro: Sociedade, perceção e comunicação hoje, aus dem Deutschen übersetzt von Miguel Serras Pereira. Lisboa: Relógio d’Água.
Ryan, Marie-Laure (2021): Narrativa e Estudos Mediáticos, herausgegeben und übersetzt von Carlos Reis, Ana Teresa Peixinho und Daniela Côrtes Maduro. Santo Tirso: De Facto Editores.

  • Annabela Rita (Universidade de Lisboa)
    Francisco Topa (Universidade do Porto)